Kindergarten U3 – Teil 2: Frühe Fremdbetreuung – eine kritische Sichtweise

Kathrin Erfahrungen 22 Kommentare

Warum ein Kindergartenplatz?

Obwohl wir unsere Situation finanziell noch gewuppt bekommen, werde ich über kurz oder lang wieder arbeiten müssen. Da uns, wie im letzten Artikel bereits geschildert, ein gutes soziales Netzwerk fehlt, ist arbeiten ohne Betreuungsplatz unmöglich. In den letzten Wochen beschäftigte Thomas unser Mädchen an den Vormittagen (er ist selbstständig und daher zeitlich flexibel). In dieser Zeit konnte ich z.B. schreiben oder mich in Ruhe der Hausarbeit und dem Kochen widmen. Ich übernahm sie für gewöhnlich nach dem gemeinsamen Mittagessen und Thomas ging arbeiten. Ein Kindergartenplatz verschafft uns eine Möglichkeit, ein bisschen durch zu schnaufen und Energie zu tanken, indem wir etwas machen das nicht mit unserem Mädchen zu tun hat. Vielleicht sogar gemeinsam, denn gemeinsame Aktivitäten ohne Kind blieben ganz schön auf der Strecke in der letzten Zeit.

Obendrein habe ich das Gefühl, dass es unserem Mädchen gut tun könnte täglich ein paar Stunden in der Woche im Kindergarten zu sein. Sie ist offen und neugierig – im Kindergarten gibt es andere Möglichkeiten zum Entdecken als zu Hause – und sie fühlt sich wohl in Gesellschaft von anderen Kindern. Ich kann ihr zwar Kontakt zu Gleichaltrigen ermöglichen, aber leider nicht jeden Tag. In der näheren Umgebung wohnen nur Thomas Eltern und es braucht ja bekanntlich ein ganzes Dorf, um ein Kind groß zu ziehen. Ein Kindergarten ersetzt natürlich weder Dorf noch familiäre Gemeinschaft, aber bietet immerhin ein gutes Kontrastprogramm zu unserer engen „3er Verbindung“.

Wenn da nicht die Zweifel wären…

Nachdem ich „Kinder brauchen Mütter“ von Hanne K. Götze gelesen und die allgemeinen Diskussionen zur frühen Kinderbetreuung verfolgt habe, wollte ich unser Mädchen am Liebsten zu Hause lassen. Eine qualitativ gute Betreuung kann sich zwar durchaus sehr positiv auf das Verhalten und die Entwicklung eines Kindes auswirken, aber der Standard vieler Institutionen lässt oft zu Wünschen übrig.[1] Mangel an emotionaler Zuwendung und mütterliche Fürsorge kann zudem zu „sozialen, sensorischen und emotionalen Defiziten“ – zum „psychischen Verhungern“ (Hospitalismus) – führen. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass es in Kindertageseinrichtungen nicht an Emotionalität mangelt, genügend Streicheleinheiten verteilt werden und unser Mädchen mich noch ausreichend lang sieht, bleibt unbestritten, dass Kindergartenkinder permanentem Stress ausgesetzt sind – je jünger, desto schlimmer. Muss das wirklich sein?

Das mulmige Gefühl in meinem Bauch wurde mit jeder Seite und jedem Artikel, den ich las mulmiger! Und es ging weiter: Erst mit circa eineinhalb Jahren begreifen Kinder, dass sie eine eigenständige Person, sprich, nicht Eins mit der Mutter sind. „Jede erzwungene Trennung von Mutter und Kind vor dieser Zeit ruft beim Kind eine starke Verunsicherung im Urvertrauen hervor.“[2] Der Haken: Kinder können sich nur dann entfalten, wenn sie sich sicher fühlen. „Kleine Kinder müssen zuerst Sicherheit und Vertrauen zu ihren Eltern aufbauen können und so lange darin wachsen dürfen, bis sie selbst-sicher unbekannte Situationen bewältigen können.“[3] Fühlen Kinder sich nicht geborgen, können noch so viele spannende Bildungsprogramme auf sie warten, sie wahrzunehmen wird schwierig, wenn das Köpfchen nicht frei ist dafür. Meine Selbstsicherheit in Hinblick auf unsere Entscheidung sank, aber in unserer Gesellschaft wird diese Art von Zweifel nicht gerne gehört.

Da muss sie irgendwann durch!

Schildere ich die Trennungsängste unseres Mädchens, bekomme ich (auch seitens der eigenen Familie!) zu hören: „Da muss sie irgendwann durch!“ Erwähne ich in Gesprächen, dass sie nun in den Kindergarten kommt, lautet der meist genannte Satz: „Ach, die Mütter leiden eh meist mehr, als die Kinder!“ Alle Welt scheint sich einig und dabei spricht jeder nur das Vorgekaute nach. Kleinstkinder in Krippen zu stecken, ohne deren Gefühle und Reaktionen wahrzunehmen, geschweige denn darauf einzugehen, ist gang und gäbe. Mütter, die sich sorgen, werden als Übermütter bezeichnet und sollen sich, genauso wie ihre Kinder, „nicht so anstellen.“ Gefühle zulassen? Pfui! „Uns hat es schließlich auch nicht geschadet!“

Weder Milchflasche, Kindergarten noch der „Klaps“ auf den Po haben uns geschadet, richtig? Stillen, Tragen, enge Mutter-Kind-Beziehung und liebevoller Umgang ohne Geschrei dagegen verweichlicht den Nachwuchs. Na prima! Wir leben ganz offensichtlich in einer Leistungsgesellschaft, die Härte als positive Eigenschaft sieht. Einerseits kritisieren wir das, vor allen Dingen, wenn wir selbst betroffen sind. Andererseits drillen wir aber schon die Kleinsten darauf zu funktionieren, sich unterzuordnen, sich in die Gruppe einzufügen, oder sollte ich lieber sagen, wir halten sie an unsichtbar zu werden? Denn Kinder, die brav aufessen, fein ins Bett gehen und schon ganz lange alleine spielen können, sind doch gefragt, oder irre ich mich? Kinder, die sich „ruhig und kooperativ zeigen,“ die nicht genug bekommen können vom Kindergarten und die Eltern kein bisschen vermissen, wie schön! Dass Kinder (wie auch Erwachsene) allerdings ab einem gewissen Punkt resignieren, wenn ihre Wünsche nach Bedürfniserfüllung nicht erhört werden und somit kein Schreien gar kein gutes Zeichen ist, scheint noch immer nicht erkannt worden zu sein.[4]

Auch wenn der allgemeine Tenor in unserer Gesellschaft zur Abhärtung unserer Kinder ermahnt, so sollten wir bedenken, dass auch kleine Menschen Gefühle haben. Es ist nicht fair, nicht auf die Bedürfnisse unserer Kinder einzugehen, nur weil sie sich nicht in komplexen Sätzen mitteilen können. Vielleicht ist es an der Zeit unsere gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu reflektieren und ernsthaft zu hinterfragen, ob Kindergärten tatsächlich so gut sind für Kinder unter 2 Jahren. Mit welchem Recht und Wissen bestimmen wir, was unsere Kinder unbeschadet verkraften? Natürlich überleben Menschen auch unter weniger optimalen Bedingungen, vielleicht sogar ziemlich gut, aber ist das Grund genug, Mütter in unserer Gesellschaft für so ersetzbar zu halten? Offensichtlich schon, denn der Staat weiß am Besten, wie man sich um das Wohlergehen des Kindes sorgt und ebnet auch schon die Bahnen dafür:

Ab 2013 Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze

„Eine gute Kinderbetreuung und frühe Förderung für alle Kinder gehören zu den wichtigsten Zukunftsaufgaben in Deutschland,“ lautet der Einstiegssatz auf der Webseite des Bundesministeriums für Familie. Ab August 2013 gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder vom vollendeten ersten bis zum dritten Lebensjahr, „damit junge Menschen ihren Wunsch nach Kindern auch verwirklichen können.“ Warum kommt eigentlich keiner auf die Idee, Familien direkt finanziell zu unterstützen, wenn es einen Kinderwunsch gibt, anstatt Milliarden in den Ausbau von subventionierten Krippenplätzen zu stecken[5] und irgendwelche Menschen (z.B. Langzeitarbeitslose) in Windeseile zu Erziehern zu rekrutieren, die weder die Kompetenz noch die Hingabe haben, diesen Beruf auszuüben?[6] Ach natürlich, die Betreuungsplätze werden geschaffen, damit sich Beruf und Familie besser vereinen lassen und Frauen die gleichen Chancen erhalten sich beruflich zu verwirklichen wie Männer. Hab ich fast vergessen…

Doch haben wirklich alle Frauen den Drang, bereits ein Jahr nach der Geburt ihres Kindes wieder in den Beruf einzusteigen, sich beruflich zu verwirklichen? Oder sind sie gezwungen zu arbeiten, weil das Auskommen mit einem Gehalt unmöglich ist? Vielleicht ist es Zufall, aber ich kenne recht viele Mütter, die Rotz und Wasser geheult haben, als sie ihre Kinder mit 12 Monaten abgeben mussten und einige wären mit Sicherheit lieber länger zu Hause geblieben. Nicht weil sie das Abhängen zu Hause so toll fanden oder sich schlecht von ihren Kindern lösen konnten. Nein, aus Ungewissheit, ob es ihren Zöglingen tatsächlich gut geht in den fremden Händen und weil die Trennungen oft abrupt erfolgen. Meine Schwester z.B. (sie lebt in Ostdeutschland) musste ihren Sohn bereits am ersten Tag acht Stunden allein mit der neuen Erzieherin lassen. Sie wurde einfach raus geschickt und vor dem Kindergarten hat sie sich dann die Augen aus dem Kopf geweint…

Auch wenn es Frauen gibt, die schnell wieder ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen möchten, so kann man sicherlich nicht verallgemeinert von einem flächendeckenden Wunsch nach Unabhängigkeit vom Kind sprechen. Anstatt auf Biegen und Brechen teure Betreuungsplätze für alle Kleinkinder aus dem Boden zu stampfen, sollte vielleicht eine Unterstützung für Mütter, die sich gerne länger um ihre Kinder kümmern wollen, in Erwägung gezogen werden – und dabei spreche ich nicht nur von Geld.[7] Ich werde jedenfalls das Gefühl nicht los, dass uns Müttern zunehmend das natürliche Muttergefühl aus- und eine moderne Familienform eingeredet wird…

Anstatt die Wiedervereinigung der Familien zu fördern, setzt das Kinderförderungsgesetz „Meilensteine für mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“ In unserer Generation leben Familien zerpflückt in verschiedensten Bundesländern, weil sie dort, jeder für sich, ihren Berufen nachgehen. Kinder wachsen nicht selten ohne Tanten, Onkel oder Großeltern auf, weil die zu bewältigenden Distanzen zu groß sind. Überall heißt es Beruf, Beruf, Beruf (nicht zu vergessen die damit verbundene Mobilität) und nicht selten wird das eigene Wohlergehen hinten an gestellt, um viele Überstunden zu schrubben, die am Ende oft doch nicht bezahlt werden. Das emotionale Wohl der Familien, der Mütter, Väter und Kinder, findet in unserer Gesellschaft kaum Beachtung. Eine wirklich schöne neue Welt in der wir leben!

Krippenpflicht

Wo das allgemeine Wohlergehen grundsätzlich missachtet wird, kann natürlich auch nicht altersgerecht auf Kleinkinder eingegangen werden. Vielleicht ist den Politikern im „goldenen Westen“ nun auch das Licht von der frühen Prägung des Kindes aufgegangen, jedenfalls wurde allen Ernstes eine Krippenpflicht in Erwägung gezogen und debattiert. Götze macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass „man in der bundesdeutschen Familienpolitik manche geistige Tradition der DDR offenbar weiterzuführen beabsichtig.“[8] Dazu gehört wohl auch beizeiten Einfluss auf die kleinsten Staatsangehörigen zu nehmen, indem man sie frühzeitig von ihren Müttern trennt und einer Gehirnwäsche unterzieht. Nur um es noch einmal zu verdeutlichen: zu frühe, zu abrupte und zu lange Trennungen können zu „innerseelischen“ Katastrophen beim Kinde führen. Da hilft es auch nicht einem Einjährigen zu erklären, dass Mama ja bald wieder kommt, das dafür notwendige Sprach- bzw. Zeitverständnis ist nämlich nicht vorhanden. Dieser Krippenpflichtwahnsinn wird sich hoffentlich nicht durchsetzen.

Unser Plan

Zwei Gehälter stellen definitiv eine finanzielle Entlastung dar und der Mangel „am Dorf“ zwingt uns zusätzlich, das Experiment Kindergarten zu wagen. Ich lehne frühe Fremdbetreuung nicht grundsätzlich ab, wenn bestimmte Rahmenbedingungen – über die ich im nächsten Artikel sprechen werde – eingehalten werden. Ein Wagnis ist es dennoch, denn der Gefahren, die der Kindergarten mit sich bringen kann, sind wir uns bewusst. Unsere Devise lautet: beobachten, beobachten und nochmals beobachten!

Wir werden jedenfalls keinen Gewaltakt aus dem Kindergartengang machen, wie es bei dem Großteil aller „Einweisungen“ bei Kindern unter 2 Jahren psychologisch gesehen der Fall ist. Kinder brauchen nicht (wie die Allgemeinheit vermutet) nur wenige Tage, um sich einzugewöhnen. Nein, sie leiden teilweise mehrere Wochen unter ihrem „Liebeskummer“. Unser Plan lautet einen sanften Übergang zu schaffen und unser Mädchen anfangs maximal 2-3 Stunden am Tag in den Kindergarten schicken. Falls sie sich wohl fühlt, kann die Stundenzahl dann im Laufe der nächsten Monate wachsen – ohne Druck und Hektik. Sollte sich herausstellen, dass es ihr überhaupt nicht gut tut, schauen wir uns nach etwas anderem um.

Die Eingewöhnungsphase startete bereits am 3. September 2012. Wie ihr Euch denken könnt haben wir sie nicht einfach Montagmorgen für acht Stunden abgegeben, sondern glücklicherweise ein sanftes Eingewöhnungsmodell gefunden. Wie das Eingewöhnen geklappt hat und was schiefgegangen ist, werde ich in Kürze berichten.

Fürs Erste bleibt uns zu hoffen, dass der gewählte Kindergarten auch das hält, was er verspricht.

 

 

Footnotes    (↵ returns to text)

  1. Renz-Polster, Herbert: Kinder Verstehen, S. 311.
  2. Dr. Posth, Rüdiger: „Frühe Fremdbetreuung“ in Unerzogen (Ausgabe 2/12).
  3. Götze, Hanne: Kinder brauchen Mütter, S. 113.
  4. González, Carlos: In Liebe wachsen, S. 66.
  5. Die Betreuung eines Kindes unter 2 Jahren (35Stunden/ Woche) kostet in Krefeld bei einer Einkommensgrenze von 30.700 € gerade einmal 56 € pro Monat! Das heißt umgerechnet 40 Cent pro Stunde! http://www.krefeld.de/C12574810046D581/html/DC903698E1322168C12574A6003078AA?opendocument 
  6. „Ab August 2013 gibt es einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung in einer Kita. Doch noch fehlt dazu ausreichend Personal. Arbeitsministerin von der Leyen will daher Langzeitarbeitslose zu Erziehern umschulen lassen. Eine gute Idee?“ http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/imgespraech/1842004/ 
  7. Ab 2013 soll ein Betreuungsgeld von monatlich 100 € Eltern unterstützen, die ihre Kinder nicht in eine Einrichtung geben wollen. Ein netter Bonus für Frauen und Männer, die sich bereits entschieden haben zu Hause zu bleiben, keine ernsthafte Hilfe für Familien, die es sich den Verzicht auf ein zweites Gehalt nicht leisten können. http://www.betreuungsgeld-aktuell.de/
  8. Götze, Hanne: Kinder brauchen Mütter, S. 25.
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