Stillen ist Kopfsache

Kathrin Stillen 44 Kommentare

Nur sehr wenige Frauen (1-3%) können nicht stillen und doch haben viele Mütter das Gefühl nicht stillfähig zu sein. Einerseits ist das Stillen „kein automatisch ablaufender Reflex“ und muss oft erst von Mutter und Kind erlernt werden. [1] Andererseits kann hinter vermeintlicher Stillunfähigkeit ein tiefgehendes Problem stecken. Deshalb möchte ich mit diesem Artikel das Augenmerk auf die weniger offensichtlichen Ursachen von Stillproblemen lenken.

Ob der Stillstart gelingt und wie gut bzw. wie lange die Stillzeit verläuft, hängt erheblich davon ab, wie wohl sich Mutter und Kind dabei fühlen. Leider fehlt es uns an erfahrenen Vorbildern, von denen wir uns entspanntes Stillen abschauen können. Das spiegelt sich in bedenklichem, allseits kursierendem Halbwissen wider und führt bei unerfahrenen Müttern zu Selbstzweifel und Unsicherheit, wenn das Stillen nicht glückt. Und genau das ist der Knackpunkt: Stillen erfordert Selbstvertrauen, Ruhe und Gelassenheit.

Selbstverständlich gehört ein gewisses Maß an Stress zum neuen Babyalltag und wird keiner stillenden Mutter schaden. Doch zuviel Stress kann die Milchproduktion negativ beeinflussen. Wie viel zu viel ist, hängt von der Belastungsfähigkeit jeder einzelnen Frau ab. Welche Stressfaktoren das Stillen blockieren können und warum, verdeutlichen die folgenden Abschnitte.

Überzeugung statt Überredung

Die innere Einstellung bestimmt, ob Stillen Freude oder Frust bereitet. Eine Frau, die von der Haarspitze bis zum Zehnagel vom Stillen überzeugt ist, wird sich mit gutem Gefühl auf ihre neue Aufgabe einlassen können, auch wenn es nicht auf Anhieb reibungslos klappt. Wer das Stillen jedoch nur aufgrund Erwartung anderer in Angriff nimmt, z.B. aus der Befürchtung heraus „sonst keine ideale Mutter zu sein, setzt sich unter immensen Druck und Zwang.“[2] Das ist problematisch, da Kinder empfänglich sind für den Gefühlszustand ihrer Mutter und bei negativen Schwingungen schlechter oder gar nicht an der Brust trinken. Statt harmonischer Stillbeziehung entsteht ein Spannungsfeld, das zur großen Belastung für Mutter und Kind werden kann.

Abneigung gegen das Stillen – was tun?

Grundsätzlich gilt: keine Frau muss stillen.Es ist nicht empfehlenswert einer Mutter, die das Stillen ablehnt unermüdlich alle Vorzüge des Stillens zu erklären. Das schürt lediglich das schlechte Gewissen und erzeugt unnötige Schuldgefühle. Besser ist es herauszufinden wo die Gründe für die innere Haltung liegen – am besten in einem Gespräch mit einer Stillberaterin oder Therapeutin und natürlich nur, wenn die Mutter Hilfe möchte . Meist beeinflussen falsche Informationen und Vorstellungen die eigene Entscheidung, beispielsweise die Annahme, dass Stillen schlaffe Brüste verursacht (siehe „Irrtümer rund ums Stillen„). Manchmal können aber auch tiefer liegende Probleme (z.B. sexuelle Misshandlung in der Kindheit) der Grund für das „Nicht-stillen-wollen“ sein.

Wer nicht stillt, ist keine Rabenmutter!

Entscheidet sich eine Mutter bewusst gegen das Stillen, ist es wichtig ihren Entschluss zu respektieren, statt sie zu ihrem Stillglück zu überreden. In manchen Situationen (wenn die äußeren oder inneren Umstände zu schwierig sind) „mag es besser sein, ein Kind liebevoll mit der Flasche zu füttern und somit Ruhe und inneren Frieden zu erlangen, als halbherzig oder gequält die Brust zu geben.“[3]
Eine gute Mutter-Kind-Beziehung ist zweifellos auch ohne Stillen möglich, denn zu einem liebevollen Verhältnis gehört mehr, als seinem Kind die Brust zu geben.  

Künstlerin: Alexandra P.
Bildquelle: http://www.museum-altomuenster.de

Aller Anfang ist schwer  

Stress hemmt die Milchproduktion

Selbst wenn eine Mutter unbedingt stillen möchte, gelingt es nicht immer. Manchmal stecken medizinische oder körperliche Ursachen dahinter, doch oft wird Stress zum Stillhinderniss. Körperliche Belastung und seelische Anspannung (wie Überforderung, Angst, Selbstzweifel) kann die Muttermilchquelle versiegen lassen noch ehe sie richtig fließt.

Schuld daran sind die Hormone. Einerseits sorgen sie dafür, dass Milch gebildet wird und gut fließt: Das Saugen des Babys bewirkt die Ausschüttung der Stillhormone Prolaktin (bewirkt Milchbildung) und Oxytocin (ermöglicht den Milchfluss).[4] Andererseits kann das Hormon Adrenalin, welches vermehrt in Stresssituationen gebildet wird, die Bildung von Oxytocin und somit den Milchfluss hemmen (siehe auch „Milchbildung“).

Die besten Bedingungen für den Stillstart

„Die günstigen Umstände, die eine Mutter braucht um das Stillen zu erlernen, entsprechen am ehesten jenen Bedingungen, die im allgemeinen als günstig für den sexuellen Liebesakt gelten: ein behagliches, warmes Bett, Ungestörtheit, eine entspannte Atmosphäre und ein Gefühl zeitloser Muße.“ (Sheila Kitzinger)[5]

Das ist einfach erklärt. Wenn zwei Menschen Zärtlichkeiten austauschen und sich glücklich und entspannt dabei fühlen, produziert der Körper Oxytocin – beim Stillen, aber auch beim Sexualakt. Das sogenannte „Liebeshormon“ ruft intensive Gefühle von Nähe hervor und verstärkt emotionale Bindungen. „Sobald aber die Aufmerksamkeit nach außen gelenkt wird, produziert der Körper Adrenalin, unser Flucht- und Aktivitätshormon, welches wiederum das Oxytocin drosselt.“[6]

In anderen Worten: Wenn die Schwiegermutter klingelt oder Frau gedanklich mit dem Bügeln beschäftigt ist, schwindet das intensive Nähegefühl schlagartig oder es entsteht gar nicht erst. Beim Liebesspiel ist vielleicht „nur“ die Stimmung hin, beim Stillen allerdings, kann im schlimmsten Fall die Milch nicht fließen.

Praktische Tipps 

Bis Mutter und Kind ein eingespieltes Still-Team sind, ist es demzufolge wichtig für Ruhe und ein entspanntes Umfeld zu sorgen. Das ist natürlich leichter gesagt, als getan, denn viele Mütter sind nach der Geburt so erschöpft, dass schon ganz banale Alltagssituationen – wie schnarchende Zimmergenossen in der Klinik – enormen Stress verursachen können.

Künstlerin: Karen McKendry Minton
Bildquelle: http://anthrodoula.blogspot.de

Wie schaffe ich mir also „günstige Umstände“? Hier ein paar Inspirationen für eine ruhige und angenehme Stillatmosphäre:

  1. Ziehe dich mit deinem Baby an einen geschützten Ort zurück
    Das kann ein Familienzimmer in der Klinik sein oder das heimische Schlafzimmer. Wichtig ist, dass du dich ungestört deinem Baby hingeben und soviel Körper- und Hautkontakt wie möglich austauschen kannst.
  2. Reduziere die Geräuschkulisse
    Fernseher, Radio oder andere permanente Hintergrundgeräusche können dein Kind überfordern und beunruhigen, was wiederum zu unentspanntem Trinkverhalten führen kann.
  3. Reduziere die Besucheranzahl bis das Stillen reibungslos klappt
    Viele Gäste sorgen für viel Trubel, der dich unter Druck setzen und dein Baby beunruhigen kann.
  4. Richte dir eine gemütliche Stillecke ein
    Achte auf eine entspannte Stillposition, denn eine verkrampfte Sitzhaltung kann zu schmerzhaften Verspannungen führen. Benutze Kissen, Stillkissen, Decken, ein kleines Höckerchen für die Füße und andere Utensilien, um es dir beim Stillen bequem zu machen.
  5. Stelle dir ausreichend Essen und Trinken zum Stillen bereit
    Stillen macht hungrig! Achte auf ausgewogene und regelmäßige Hauptmahlzeiten und bereite dir „für Zwischendurch“ am besten ein paar Kleinigkeiten vor (z.B. Obst, Schnittchen, Müsliriegel, Studentenfutter), die du vor dem Stillen mit einer Flasche Wasser in greifbare Nähe stellen kannst.
  6. Versuche zu schlafen/ zur Ruhe zu kommen, wenn dein Kind schläft
    Geh beispielsweise am Abend früher schlafen oder lege dich tagsüber mit hin, denn dein Schlafdefizit kann zu einem großen Stressfaktor werden – auch für die Beziehung!
  7. Lass dein Kind in deiner Nähe schlafen
    Entweder direkt neben dir oder in einem Beistellbettchen (siehe auch „Problemzone Familienbett„). So musst du nicht extra aufstehen zum Stillen und kannst schneller wieder einschlafen.
  8. Lasse den Haushalt warten
    Überlege dir, was du wirklich brauchst bzw. machen musst und versuche Prioritäten zu setzen. Essen und gewaschene Kleidung sind wichtig. Ungeputzte Fenster beispielsweise können warten.
  9. Nimm Hilfe an
    Bitte Freunde oder Familie um Hilfe und trau dich sie anzunehmen, damit du zu Kräften kommen kannst.
  10. Sorge für Dich
    Versuche dir kleine Auszeiten zu nehmen, um Energie für die nächste „Babyetappe“ zu tanken. Oft reichen schon Kleinigkeiten aus, wie eine ausgiebige, heiße Dusche oder ein Spaziergang an der frischen Luft.
  11. Frag (d)eine Stillberaterin
    Bei Stillfragen kannst du jederzeit kostenlos eine ehrenamtliche Stillberaterin der LLL (La Leche Liga) oder der AFS (Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen) kontaktieren.
  12. Frag (d)eine Hebamme
    Bei Sorgen und Fragen rund ums Baby, kannst du dich während der gesamten Stillzeit an eine Hebamme wenden. Die Kosten übernimmt die Krankenkasse.
  13. Höre auf dein Bauchgefühl
    Was auch immer dir geraten wird, mache das, was sich für dich gut anfühlt. Tu das, was dein Baby beruhigt und ihm gut tut.

Stillen und das Körpergefühl

Mir war nicht bewusst, welchen Einfluss die eigene Wahrnehmung auf das Stillen haben kann, bis ich das Buch „Vom Glück des Stillens“ von Eva Herman gelesen habe. Sie beschreibt darin ausführlich wie sehr sich das eigene Körpergefühl auf die Stillfähigkeit auswirkt und behauptet, dass „man die körperliche Intimität zwischen Mutter und Kind als Spiegel ansehen kann für die Gefühle der Mutter ihrem eigenen Körper gegenüber.“ [7] Ich wage zu bezweifeln, dass das auf jede Mutter zutrifft, aber auf einige sicherlich.

Stillunfähig bei Schamgefühl? 

(Künstlerin: Renata Domalska, Bildquelle: http://www.touchofart.eu)

Ich kenne Frauen, die sehr unzufrieden mit ihrem Äußeren sind und entweder keine gute oder gar keine Stillbeziehung führen konnten. Ein Zufall? Nicht für Eva Herman: „Wenn eine Frau sich ihres Körpers schämt, ist es ihr kaum möglich dem Säugling mit Zärtlichkeit und Liebe die Brust zu reichen. […] Das Kind wird die Vorbehalte der Mutter spüren und im schlimmsten Fall die Brust verweigern.“ [8]

Der Vergleich mit dem Liebesakt ist auch hier sehr treffend. Fühlt sich Frau beispielsweise zu dick, wird sie versuchen den Bauch einzuziehen oder eine optisch ansprechende Sitz- oder Liegeposition einzunehmen, anstatt sich ungehemmt auf den Partner einzulassen. Wem permanent das eigene Äußere durch den Kopf schießt, wird kaum einen (echten) emotionalen Höhenflug erleben können – auch wenn der Partner vielleicht nichts davon merkt.

Babys dagegen sind, wie oben bereits erwähnt, sehr feinsinnig. „Es gibt sensible Babys, die sofort wahrnehmen, wenn die Mutter unruhig wird und entsprechend ebenso mit Unruhe reagieren, sind doch die Eltern der Sicherheitsfaktor schlechthin für das Neugeborene. Die Unruhe des Babys kann dann wiederum für neue Unsicherheiten der Mutter sorgen“ (siehe auch „Entspannte Mutter – entspanntes Baby„). Es entsteht eine Abwärtsspirale, die sich kaum aufhalten lässt.

Was tun?

Diese Art von Stillproblem beim Schopfe zu packen ist recht schwierig, da viele Frauen nicht ahnen, dass es einen Zusammenhang zwischen Stillproblem und der eigenen, negativen Körperwahrnehmung geben kann.

Statt kluge Ratschläge zu geben, möchte ich deshalb die Schwierigkeit, den eigenen Körper anzunehmen als mögliche Ursache für Stillunfähigkeit ins Bewusstsein rufen. Denn das Wissen darüber kann bereits Hilfe genug sein.

Stillen und der Partner

Wie eine Frau das Stillen erlebt und wie lange sie stillt, hängt natürlich auch von der Denkweise des Partners ab. „Viele Studien zeigen wie verblüffend stark der Einfluss der väterlichen Meinung ist“, bemerkt Kinderarzt Dr. Renz Polster.[9] Doch so verblüffend finde ich das nicht, schließlich will Frau ihrem Partner gefallen – nicht nur durch hübsches Aussehen, sondern auch durch entsprechendes Verhalten. Manche gewöhnen sich das Rauchen ab, einige lassen das Stillen sein, je nachdem was vom Partner in welchem Ausmaß kritisiert oder erwartet wird und wie Frau damit umgeht.

Stillen ist nicht jederMANNs Sache 

Im Gegenteil, stillt eine Frau ihr Baby mit voller Hingabe und Überzeugung, kann das beim Partner sehr negative Gefühle erzeugen. Manche sind verunsichert, weil sie nicht wissen, wie sie das Baby ohne Brust beruhigen können. Einige reagieren eifersüchtig, weil der Nachwuchs wesentlich mehr Streicheleinheiten erhält. Manche fühlen sich vernachlässigt oder sogar ausgeschlossen, weil ihre Frau nur noch Zärtlichkeiten mit dem Baby austauscht. Die Liste der schlechten Gefühle lässt sich beliebig verlängern. 

Stört das Stillen den Partner, wird es unweigerlich auch für die Mutter zum Problem. Frauen sind harmoniebedürftig und nur wenige kämpfen für ihren Stillwunsch, wenn der eigene Mann dagegen ist. Frauen dagegen, die von ihren Partnern Anteilnahme und Unterstützung in Sachen Kinderernährung erfahren, stillen ihre Babys in Summe länger.

Unser Mädchen und ich, wir hatten großes Glück, denn Thomas befürwortete von Beginn an das Stillen. Obwohl er sich manchmal vernachlässigt fühlte, weil mein Bedarf an Nähe (zumindest phasenweise) gedeckt war, unterstützte er uns und gab mir immer das Gefühl etwas ganz großartiges für unsere Tochter zu tun. Dass sie heute – mit fast 2 Jahren – immer noch gestillt wird, hat sie nicht nur mir, sondern auch Thomas zu verdanken.

Stillen ist auch Männersache (ein Wort an die Männer)

Gut informiert stillt es sich besser – das gilt für Frauen und für Männer. Wissen Männer um die Vorteile des Stillens (auch die persönlichen) und wie sie mit ihrer Frau (z.B. bei Stillproblemen) und dem Baby (auch ohne Brüste) umgehen können, unterstützen sie ihre Partnerin gerne tatkräftig.

Abneigungen gegen das Stillen basieren oft auf mangelnden oder falschen Informationen und Unsicherheit. Wer einen Geburtsvorbereitungskurs mit seiner Partnerin besucht, hat die Möglichkeit Vorstellung und Realität abzugleichen. Gespräche mit bereits „stillenden“ Vätern können ebenfalls Befürchtungen und Zweifel aus dem Weg räumen.

Negative Gefühle bzw. Gedanken sind normal und gehören dazu. Das einzige, was da hilft ist reden – so schwer es auch fällt. Gemeinsam mit deiner Partnerin kannst du herauszufinden, ob hinter dem Stillproblem nicht doch eher ein Partnerschaftsproblem liegt und welche Lösungsansätze ihr finden könnt.

Künstlerin: Annette Beisenerz
Bildquelle: http://www.annettebeisenherz.de

Zwei Dinge sollte man(n) sich jedoch bewusst machen: Kinder verändern das Leben und die Beziehung, ob sie gestillt werden oder nicht. Des weiteren ist das Abstillen zwar jederzeit möglich, es lässt aber bestehende Probleme nicht einfach verpuffen. Im Gegenteil, meist kommen neue Hürden hinzu, wie das nächtliche Zubereiten der Milchfläschchen. Bevor eine endgültige Entscheidung gefällt wird, solltest du dich fragen, ob du bereit bist die Konsequenzen (mit) zu tragen?

Stillen und das Umfeld

„Alle Menschen zu denen die stillende Mutter Kontakt hat, können in irgendeiner Form zum Erfolg oder Misserfolg der Stillbeziehung beitragen.“[10] Geraten unerfahrene Mütter von Anfang an in schlechte Hände,  z.B. wenn ausschließlich ruppiges Krankenhauspersonal das Stillen betreut, kann der Stillstart schnell zum Fehlstart werden.
Die Stillzeit wird insgesamt je angenehmer, je positiver die Umwelt reagiert. Häufen sich negative Reaktionen, wie etwa kluge Ratschläge, dumme Kommentare oder schiefe Blicke, sowohl von Laien (z.B. Freunde, Verwandte, Passanten) wie auch von Fachleuten (z.B. Ärzte, Psychologen), wird Frau zunehmend unter Druck gesetzt (siehe auch: „Häufige Fragen zum Langzeitstillen„).

Die Einstellung der Gesellschaft hat außerdem Einfluss auf die Stilldauer. „Und da scheint einige Verwirrung zu herrschen: Einerseits wird […] Muttermilch als das Beste für das Kind angesehen, […] andererseits wird langes Stillen teilweise mit Argwohn betrachtet.“[11] Das lässt sich auch durch Zahlen belegen: Über 90% der Kinder werden in Deutschland nach der Geburt gestillt, nur noch 40-50% mit 6 Monaten (siehe auch: „Stillen in Deutschland eine Bestandsaufnahme„). Wer durchhält und seinem Kind auch noch mit einem Jahr oder länger die Brust gibt, muss mit Vorurteilen und Anfeindungen rechnen (siehe auch: „Langzeitstillen – warum Mütter sich dafür entscheiden„). Diese zu ignorieren und mit Frohgefühl weiterzustillen erfordert ein dickes Fell und/ oder ermutigenden Zuspruch z.B. durch den Partner.

Mein Umgang mit blöden Reaktionen

Da ich meine Umgebung nicht ändern konnte, musste ich einen Weg finden mich gegen unangebrachte Bemerkungen zu wappnen. Den größten Rückhalt erhielt ich von Thomas – er baute mich jedes mal auf, wenn ich (ver-)zweifelte. Außerdem halfen mir Informationen mein Wissen zu festigen und somit mein Selbstvertrauen und mein Vertrauen in unser Mädchen zu stärken. Ich habe zudem gelernt bei überflüssigen Kommentaren auf Durchzug zu schalten bzw. Blicke zu ignorieren, in dem ich mit meiner Aufmerksamkeit ganz bei unserem Mädchen war, wenn ich sie in der Öffentlichkeit stillte. Als ich dann nach 12 Monaten die einzige noch stillende Mami im Freundeskreis war, schloss ich mich einer Stillgruppe an, um Gleichgesinnte zu treffen. Geteiltes „Leid“ ist schließlich halbes Leid.

Aggressive Werbekampagnen

Werbung beeinflusst das Denken unserer Gesellschaft – die Werbung der Babynahrungsmittelindustrie manipuliert das Bauchgefühl junger Mütter und zwar schon weit vor der Schwangerschaft. Wen wundert es da, dass sich Mütter heute nicht mehr intuitiv und mit gutem Gewissen für das Stillen entscheiden können?

Künstliche Babynahrung wird uns tagtäglich in Wort, Ton & Bild schmackhaft gemacht. Das Schlimme daran? „Werbung manipuliert besonders Konsumenten, die wenig Erfahrung haben und auch Menschen, die eine schlechte Bildung haben. Sie glauben, dass alles, was sie in der Werbung sehen, der Wahrheit entspricht“ (siehe auch: „Auswirkungen der Werbung auf die Gesellschaft„).

So heißt es beispielsweise in einem Hipp Werbespot: „Stillen ist das beste für das Baby. Danach gibt es die Hipp Combiotik Folgemilch.“ Doch was bitte schön heißt „danach“? Und warum muss das davor aufhören? Weil Muttermilch allein nicht ausreicht? Weil es sich mit dem Fläschchen besser schläft oder weil nur streng kontrollierte Milchnahrung den täglichen Nährstoff- und Vitaminbedarf ideal abdeckt? Unklare Aussagen wie diese stiften Verwirrung, denn sie lassen vermuten, dass das Stillen zeitlich befristet, also nur eine begrenzte Zeit lang das beste für das Baby ist. Unfug!

Das Geheimnis guter (oder sehr aggressiver) Werbung ist, dass sie einerseits Bedürfnisse weckt, wo keine sind. Erst durch das oben genannten Beispiel komme ich als Mutter überhaupt auf die Idee meinem Kind etwas anderes als Muttermilch zu geben. Andererseits ruft Babywerbung ausschließlich positive Emotionen hervor. Der Hipp Werbespot zeigt ununterbrochen Nahaufnahmen von glücklichen und zufriedenen Gesichtern. Das Kind scheint noch nicht einmal gemerkt zu haben, dass es statt Muttermilch Pulvermilch aus dem Fläschchen erhält. In der Realität sähe die Reaktion auf den Austausch wohl anders aus.
Außerdem lenkt Werbung Käufer gezielt, indem sie sich einer einfachen Faustregel unseres Unterbewusstseins, der sog. Rekognitionsheuristik, bedient: „Menschen, die sich zwischen mehreren Objekten (in dem Fall Milchen) entscheiden sollen, werden sich eher für jenes entscheiden, das sie wieder erkennen, das ihnen vertrauter ist.“

Und genau das ist das Stichwort: Viele Frauen vertrauen Hipp & Co heute mehr, als ihrem eigenen Körper. Mehr als der Natur!
Immer wieder glauben Mütter nicht genügend Milch oder keine sättigende (zu dünne) Milch zu haben. Sie geraten unter Druck ihrem Kind „etwas anständiges“ geben zu müssen, weil ihnen die Werbebotschaften (oder die Stimmen der Leute – das verlängerte Sprachrohr der Werbung) nicht aus dem Kopf gehen…

Nestle Werbung von 1898
Bildquelle: www.wikipedia.org

Stillen fördert die Entspannung

Das mag jetzt etwas paradox erscheinen, nachdem ich zeilenlang erklärt habe, dass Stillen Kopfsache ist und wie Stress das Stillen torpediert. Doch Fakt ist:  Wer den Einstieg ins Stillen schafft, wird belohnt. Die Stillhormone Oxytocin und Prolaktin sind nicht nur an der Milchproduktion beteiligt, sie sorgen auch dafür, dass die Mutter am Ball bleibt.

Oxytocin löst Glücks- und Liebesgefühle aus und fördert die Mutter Kind Bindung.
Direkter Hautkontakt verstärkt übrigens die Oxytocinausschüttung. Dies geschieht bei Frauen und Männern gleichermaßen, und genauso bei den Babys. Vor allem diese Hormonausschüttung bewirkt, dass direkter Hautkontakt beruhigt, den Blutdruck senkt und Gefühle der Verbundenheit verstärkt.

Prolaktin wird auch als Mütterlichkeitshormon bezeichnet, da es der Mutter hilft gelassener auf ihr Kind zu reagieren. Prolaktin erhöht die Stresstoleranz (über Senkung des Cortisolspiegels), es wirkt entspannend und angstlösend.

„Stillen ist also eines der Dinge, die die Mutter nicht nur fordert, sondern ihr auch etwas gibt – es verhilft zu einem Gleichgewicht von gegenseitigem Geben und Nehmen bei Mutter und Baby.“[12]

Schlussgedanke

Versuche deinen Kopf von all den großen und kleinen Sorgen des Lebens weitestgehend zu befreien, setzte deinen Kopf gegen alle Bedenken und Bemerkungen durch, aber behalte stets im Hinterkopf, dass die ersten Stillversuche vielleicht nicht die erhoffte Freude oder Erfüllung bringen (der Vergleich mit dem Liebesspiel). Betrachte deinen Körper als Geschenk und vertraue auf deine intuitiven Fähigkeiten als Mutter. Vertraue dir und deinem Kind, statt dir permanent den Kopf zu zerbrechen. Denn Stillen sollte keine Kopfsache sein. Stillen ist eine Herzensangelegenheit.

Künstlerin: Katie m. Berggren
Bildquelle: http://www.kmberggren.com

 

Footnotes    (↵ returns to text)

  1. Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen (2012), 46.
  2.  Lothrop, Hannah: Das Stillbuch (2012), 35.
  3.  Lothrop, Hannah: Das Stillbuch (2012), 37.
  4.  La Leche Liga: Das Handbuch für stillende Mütter (2001), 335.
  5.  Lothrop, Hannah: Das Stillbuch (2012), 129.
  6. Stadelmann, Ingeborg: Die Hebammensprechstunde (2005), 148.
  7.  Herman, Eva: Vom Glück des Stillens (2003), 68.
  8.  Herman, Eva: Vom Glück des Stillens (2003), 68.
  9. Renz-Polster, Herbert: Langzeitstillen: wo ist das Problem? http://www.kinderverstehen.de/images/langzeitstillen_lang.pdf
  10. Renz-Polster, Herbert: Langzeitstillen: wo ist das Problem? http://www.kinderverstehen.de/images/langzeitstillen_lang.pdf
  11.  La Leche Liga: Das Handbuch für stillende Mütter (2001), 46.
  12.  La Leche Liga: Das Handbuch für stillende Mütter (2001), 46.
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