Aggressives Verhalten beim Kind: eine Selbstreflexion

Kathrin Elternsein 65 Kommentare

Unser Mädchen schubst, kneift und haut andere Kinder – ein Thema, welches mich schon seit vielen Monaten intensiv beschäftigt. An manchen Tagen ist mir ihr Verhalten so unfassbar unangenehm, dass ich lieber nach Hause gehen und weinen möchte, anstatt ihr permanent hinterherzulaufen und sie vorm Verprügeln anderer Kinder zu bewahren. Echt belastend. Wenn ich dann noch die vorwurfsvollen Blicke oder beiläufigen, aber kränkenden Bemerkungen anderer Mütter einkassiere, ist die Misere komplett.

Eine Freundin sagte beispielsweise mal: „Mein Max hat gestern den ganzen Nachmittag so lieb mit der Lisa gespielt, während wir Mamis uns in aller Ruhe beim Kaffee unterhalten haben. Das war richtig schön. Aber mit deiner Tochter ist so was ja leider nicht möglich!“

Pam. Das hat gesessen.

Ich kann diese Freundin sehr gut verstehen, weil ihr Junge eines der Kinder ist, das sehr oft von unserem Mädchen einstecken musste. Schade finde ich, dass sie offenbar nicht nachvollziehen kann, wie mies ich mich eh schon fühle. Nach dieser Bemerkung wäre ich fast in Tränen ausgebrochen. Stattdessen habe ich tief durchgeatmet, ihr mein Verständnis gezeigt und mir gedacht, dass sie wahrscheinlich eines Tages verstehen wird – wenn der kleine Max nicht mehr nur lieb in der Ecke spielt.

Verhält sich mein Kind normal?

Das Ärzteblatt schreibt: „Trotzanfälle im Kleinkind- und Kindergartenalter sind nichts Ungewöhnliches, ebenso wie körperliche Übergriffe (zum Beispiel Bisse, Schläge) […]. Solche Ausprägungen aggressiven Verhaltens lassen jedoch mit der Zunahme der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten in der Regel nach, und die Kinder lernen, ihre Wünsche und Gefühle adäquater auszudrücken.“[1]

Ich könnte also behaupten das Verhalten unserer Tochter sei normal, doch nach wochenlanger Beobachtung muss ich feststellen, dass es ungewöhnlich ist.

Auffälligkeiten

Unser Mädchen ist das einzige Kind (in den Spielgruppen, in denen wir verweilen), das so ungemein aggressiv reagiert: Die anderen motzen und schubsen auch schon mal, aber auf einem ganz anderen Level. Im Gegensatz zu ihren Spielkameraden ist sie richtig rabiat. Zur Begrüßung nietet sie erst einmal alle ihre Kumpels um und wenn ich sie nicht daran hindere, zieht sie an Haaren, greift in Gesichter oder beißt in diverse Körperteile – manchmal sogar im Minutentakt.

Sie ist aber auch gleichzeitig das einzige Kind, das mit 20 Monaten noch gestillt wird. Wenn sich stillen doch positiv auf die soziale Entwicklung auswirkt, warum ist dann ausgerechnet das Milchmädchen in der Gruppe der Rowdy? Oder wirkt sich das Stillen so positiv auf ihr Selbstbewusstsein aus, dass sie gerade deshalb Machtkämpfe ausficht? Oder hat das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun??

Merkwürdig an ihrem Verhalten ist außerdem, dass sie einige Kinder ganz besonders intensiv attackiert, während andere fast immer verschont bleiben. Kinder, die ähnlich aktiv und selbstbewusst sind (auch wenn sie selbst nicht aggressiv werden), scheint sie eher zu mögen und zu akzeptieren. Mit schwächeren, schüchternen Spielkameraden kann sie nicht so viel anfangen – solche ruhigen Kinder sind ihre Lieblingsopfer.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

„Vererbt oder angeeignet?“, frage ich mich manchmal, wenn ich ihr Verhalten beobachte. Ich weiß nur eines sicher: Es gibt starke Parallelen zwischen ihr und mir:

Unser Mädchen ist eine absolute Frohnatur und Kichererbse – mit ihrem Lachen steckt sie jeden an. Sobald sie sich aber über eine Situation sehr ärgert, kann sie von jetzt auf gleich extrem sauer werden. Das sind Stimmungsumschwünge vom feinsten!

Diese kenne ich auch von mir. Ich lache viel und bin für jeden Schabernack zu haben, doch wenn mir etwas nicht in den Kram passt, kann ich blitzschnell an die Decke gehen. Da reicht – je nach Tagesform – schon eine falsche Bemerkung oder ein falscher Blick und schwups ist meine gute Laune dahin.

Fast noch schlimmer reagieren wir auf Stress. Steht unser Mädchen unter Strom, weil sie etwas nicht bekommt oder etwas nicht gelingt, wird sie laut, schlägt um sich und lässt ihre Wut an anderen aus. Ganz die Mama…

Sobald ich in unter Stress gerate, werde ich ungeduldig, gereizt, manchmal sogar aufbrausend und gemein. Thomas kann ein langes Klagelied davon singen, denn meinen Dampf lasse ich vorzugsweise an ihm ab. Im Gegensatz zu unserem Mädchen werde ich zwar nie handgreiflich, aber meine Worte können verletzender sein als eine Ohrfeige.

Das lebhafte Temperament hat unser Mädchen ganz offensichtlich von mir geerbt oder abgeschaut, denn während wir beide unsere Emotionen SOFORT und in aller Heftigkeit zeigen, gibt es bei Thomas selten starke Gefühlsausbrüche. Es bedarf schon herausragender, komischer Situationen, um ein herzhaftes Lachen aus ihm heraus zu kitzeln. Dafür reagiert er stets angenehm entspannt bei Problemen – im Gegensatz zu mir.

Diese Parallelen wollte ich lange Zeit nicht wahrhaben, schließlich gehe ich doch nicht zu meinen Freundinnen und stecke ihnen zur Begrüßung einen Finger ins Auge. Nun, wirklich gute Freunde wissen aber, wie verletzend ich auch ohne Handgreiflichkeiten werden kann. Dass meine verbalen Peitschenhiebe ebenfalls zum aggressiven Verhalten zählen – nur in einer anderen Form – ist mir erst durch unser Mädchen wirklich bewusst geworden.

In den Fußstapfen meiner Eltern

In mir schlummern also jede Menge negative Schwingungen, obwohl ich grundsätzlich ein aufgeschlossener, freundlicher und hilfsbereiter Mensch bin. Ohne an dieser Stelle tiefer darauf einzugehen, liegen die Ursachen dafür weit zurück in meiner eigenen Kindheit.

Mein Elternhaus hat mich geformt und geprägt und zwar so intensiv, dass es mir einfach nicht gelingen will einige Verhaltensweisen abzustreifen, die ich offensichtlich kopiert habe. Ausgerechnet die Verhaltensweisen, mit denen mich meine Eltern jahrelang gekränkt und verletzt haben. Verhaltensweisen, mit denen ich nun selbst kränke und verletze.
Ich finde es erstaunlich und erschreckend zugleich, welchen Einfluss das Elternhaus  auf die Lebensqualität der Kinder – manchmal sogar auf das ganze Leben – hat. Doch dazu komme ich gleich noch einmal.

An dieser Stelle zunächst ein kleiner Abstecher zu meinen bisherigen, verzweifelten Versuchen, unsere Tochter von ihren Attacken abzubringen.

Strategien & andere Bemühungen

Erklären

Mittlerweile empfinde ich es als vergeudete Zeit unter Zweijährigen zu erklären, wie schlecht und verletzend ihr aggressives Verhalten ist. Ich probierte es gefühlte 5000 Mal, doch es zeigte keinerlei Wirkung. Ganz im Gegenteil: mit völlig neutralem Gesicht schaute sie meist in die Ferne oder auf das Spielzeug, das sie gerade ergattert hatte. Ich redete mir den Mund völlig umsonst fusselig.

Ignorieren

Da Erklären nicht half, wollte ich mich stattdessen intensiv um das verletzte Kind kümmern und unser Mädchen bzw. ihr Verhalten dabei außer Acht lassen (siehe auch „Mein Kind zeigt aggressives Verhalten – Was tun?„). Doch das war ebenfalls nur in der Theorie ein guter Ansatz.
Erstens wollte ich ihre Angriffe weiterhin abwehren, um Verletzungen zu verhindern. Ich konnte doch nicht einfach weggucken! Das Ignorieren gelang also nur, wenn sie bereits angegriffen hatte – vorher erhielt sie weiterhin meine Aufmerksamkeit. Der dritte unterschätze Aspekt war, dass sich angegriffene Kinder nur ungern von fremden Personen trösten lassen. So stand ich also regelmäßig wie ein Depp neben den weinenden Kleinen und versuchte deren Kopf zu tätscheln oder Grimassen zu schneiden. Nicht selten fingen die Kinder daraufhin an, noch mehr zu weinen… Spitze!

Der äußere Eindruck

Es ist nicht nur das Verhalten unserer Tochter, das mir zu schaffen machte, sondern auch die Tatsache, dass nur „brave Kinder“ gute Kinder sind und „schlechtes Benehmen“ ständig laut von Eltern kritisiert werden muss. Das ist zumindest mein Eindruck, wenn auf Spielplätzen, in Wartezimmern oder in Cafés permanent unüberhörbare Ermahnungen wie „Nein, das macht man nicht!“, „Mach Ei!“, „Sag Danke“ oder dergleichen ertönen. Ein ständiger Strom von Ermahnungen und Erklärungen – fast wie in einem Wettstreit. Ich frage mich immer, ob Eltern sich auch so benähmen, wenn keine anderen Erwachsenen im Raum wären.

Selbstverständlich lasse ich unser Mädchen nicht alles nach belieben machen und setze – wenn nötig – ein (wohl dosiertes) „Nein!“ ein. Es sind eher die antrainierten Gesten oder auswendig gelernten Floskeln von denen ich nichts halte. Sie soll streicheln, wenn sie Lust dazu hat und nicht, wenn sie ihrem Gegenüber lieber die Schaufel übern Kopf ziehen möchte. Und doch habe ich sie oft genug aufgefordert „Ei zu machen“ statt Schläge zu verteilen. Mir fiel einerseits keine bessere Lösung ein, andererseits wollte ich nicht die einzige sein, die nix zu ihrem Kind sagt.

Ich möchte unserem Kind natürlich zeigen wie freundliches Verhalten funktioniert, doch nicht indem ich ihr andauernd vorhalte wie schlecht ihr eigenes ist. „Durch permanentes (verbales) Korrigieren sende ich schließlich die Botschaft: “Du bist nicht gut genug” – selbst wenn mein Umgangston dabei freundlich und verständnisvoll ist.“[2] Ich konzentriere mich vielmehr darauf, ihr freundliches Verhalten vorzuleben und ihr zu helfen sich anders auszudrücken.

Rechtfertigungsmodus

Ich wollte nichts sehnlicher, als dass mein Umfeld sieht, was für ein liebenswertes Kind unser Mädchen – unter ihrer Schlägerkutte – ist. Also legte ich für ihr schlechtes Benehmen ständig Rechenschaft ab. Ich suchte die Ursachen dafür im Zahnen oder Schlafmangel, diskutierte intensiv aus, was ich schon probiert hatte und redete so stundenlang von ihr und unserem Problem.

Ich bemerkte weder, dass es mir dabei immer schlechter ging – vielleicht weil ich nicht das erhoffte Verständnis erhielt und mich quasi nur noch um Kopf und Kragen redete. Noch realisierte ich, dass unser Mädchen (auch wenn sie vielleicht noch nicht so viel versteht) jedes einzelne Wort mithören konnte. Im Nachhinein betrachtet nicht sehr geschickt.

Ich möchte wieder ich selbst sein!

Ob ich Dinge erkläre, die ich nicht erklären möchte; ob ich meine Tochter ignoriere, obwohl ich sie wahrnehmen möchte oder ob ich versuche meinem Umfeld zu erklären, dass mein Kind eigentlich ganz lieb ist, nur eben heute ausnahmsweise nicht – in all diesen Situationen fühlte ich mich total unwohl, weil ich Dinge tue, die ICH NICHT MÖCHTE.

Das war mir alles zu viel – zu viel Theorie. Ich wollte einfach wieder spontan reagieren – so wie es sich für mich gut anfühlt – ohne mich krampfhaft an Strategien und Handlungsanweisungen zu klammern.

Jesper Juul und die Erkenntnis

Auf dem Höhepunkt meiner Grübeleien begegnete ich auf schicksalhafte Weise dem dänischen Familientherapeuten Jesper Juul. Leider nicht in echt. Ich fand zufällig sein Hörbuch Dein kompetentes Kind* und lauschte gespannt seinen Erfahrungen und Ausführungen.

Juul ist der Auffassung, dass „Kinder mit allen sozialen und menschlichen Eigenschaften geboren werden. Um diese weiterzuentwickeln, brauchen sie nichts als die Gegenwart von Erwachsenen, die sich menschlich und sozial verhalten. Jede Methode ist nicht nur überflüssig, sondern kontraproduktiv, weil sie die Kinder für ihre Nächsten zu Objekten macht.“[3]

Juul erklärt weiterhin, dass Kinder durch schlechtes Verhalten Botschaften senden. Verhaltensauffällige Kinder fühlen sich unwohl, sie „machen ihre Eltern in nonverbaler und verbaler Form auf deren emotionale und existenzielle Probleme aufmerksam.“[4]

Den Fokus auf das schlechte Verhalten zu legen, sprich, aus einem verhaltensauffälligem Kind, wie unserem Mädchen, ein braves Kind zu machen, ist demzufolge zu oberflächlich gedacht. Es ist sicherlich möglich ein Kind nach den eigenen Wertvorstellungen zu formen, doch dabei wird das Kind als Mensch mit seinen Bedürfnissen und Empfindungen ignoriert – das eigentliche Problem wird nicht erkannt.

„Juul plädiert dafür, Kindern auf eine andere Art und Weise zu begegnen. Sein Konzept ist, herauszufinden, ‘wer das Kind ist’ und nicht zu erklären, ‘warum es sich so verhält’. [Er fordert Eltern auf, nicht nur auf das Kind, sondern auf das tägliche Zusammenwirken als Familie zu schauen.] Dieses Vorgehen hält Juul für den einzigen Weg, eine tragfähige Beziehung zum Kind herzustellen.“[5]

Mein Weg

Glücklicherweise waren wir in dieser gedankenvollen Zeit über 2 Wochen in Quarantäne (wir und all unsere Freunde waren krank), so dass ich mich in aller Ruhe neu sortieren konnte.

1. Ich habe mich dafür entschieden, wieder ich selbst zu sein, anstatt mich in die Rolle der gut erziehenden Mutter zu zwängen. Ich gebe ihr klar zu verstehen, wann ich etwas gut oder nicht gut finde und zwar so wie es sich für mich richtig anfühlt und nicht wie es von mir erwartet wird.

Mal flüstere ich ihr leise in einem Nebenraum zu, dass sie gerade verletzend ist (um sie nicht vor den anderen bloß zu stellen), mal feuere ich ihr ein lautes „Nein!“ entgegen, z.B. wenn sie mit aller Kraft an meinen Haaren zieht. Oft reichen Blicke oder Gesten aus, manchmal muss ich sie auf den Arm – raus aus dem Krisenherd – nehmen, um Konflikte zu entschärfen. Ich handle situationsabhängig und nicht nach Plan.

2. Ich habe aufgehört, die Verhaltensauffälligkeiten unserer Tochter zu jeder Zeit mit jedem Menschen zu besprechen. Sie ist eine fertige kleine Person, die hören und verstehen kann. Mir würde es schließlich auch nicht gefallen, wenn Thomas seinen Freunden bei jeder Gelegenheit (in meinem Beisein) berichten würde, wie sehr ich mich schon wieder daneben benommen habe.

3. Ich höre wieder auf mein Gefühl und nehme ihre Signale ernst. Anfangs glaubte ich noch, unser Mädchen auf eine gewisse Art und Weise erziehen zu müssen und rechtfertigte mich, wenn es nicht klappte. Irgendetwas stimmte jedoch nicht daran, sie zu ignorieren oder ihr permanent das bessere, „gute“ Verhalten zu predigen. Diese künstliche Oberflächenpolitur gefiel mir ganz und gar nicht, da ich – gänzlich an dieser orientiert – schlecht mit unserem Mädchen umging. Obwohl ich das die ganze Zeit spürte, verdrängte ich mein schlechtes Bauchgefühl. Schließlich handeln ja alle so.

Erst im Laufe der Zeit begriff ich, dass unser Mädchen (m)ein Spiegel ist, der mir ganz deutlich zeigt, wie es um mich selbst bestellt ist. Wenn ich ihr Wesen ignoriere bzw. korrigiere, dann zerkratze oder zerschlage ich lediglich meinen Spiegel. Ich muss mir so meine Probleme zwar nicht mehr anschauen, doch damit zerstöre ich ein Stück weit die Seele meines Kindes: Es bleibt unverstanden und unerhör(h)t! Ändere ich MICH und MEIN VERHALTEN, dann ändert sich interessanterweise auch mein Spiegelbild.

4. Zu guter letzt habe ich mir einen Satz von Jesper Juul sehr zu Herzen genommen:

„Entscheidend für die gesunde Entwicklung von Kindern ist die Qualität des Zusammenspiels in der Familie, also das, was wir gemeinhin als „Ton“, „Stimmung“ und „Atmosphäre“ bezeichnen.“[6]

Ich habe aufgehört ununterbrochen über die Aggressionen unserer Tochter nachzudenken und angefangen, mein Leben und Verhalten zu reflektieren. Mein geduldiger und liebevoller Umgang mit unserem Mädchen ist für die Katz, wenn ich zur gleichen Zeit auf Thomas herum hacke, übertrieben gesprochen.
Was zählt ist der Umgang mit allen Menschen – jederzeit!

Nur wenn ich mich „menschlich und sozial verhalte“, wird unser Mädchen das eines Tages auch tun. Benehme ich mich wie die Axt im Walde, wird wohl auch sie für einen Kahlschlag sorgen.

Ein Happy End?

Nach unserer Quarantänezeit und meiner selbst durchgeführten Gehirnwäsche, spielte unser Mädchen auf einmal lieb mit den anderen Kindern. Ich konnte sie zum ersten Mal seit Ewigkeiten unbeaufsichtigt in einem anderen Raum lassen und mich entspannt den Gesprächen widmen.

Juul sagt dazu: „Wenn die Einladung des Kindes angenommen wird, sich mit ihm und der gesamten familiären Situation auseinander zu setzen, verschwinden die Symptome meist schnell wieder.“ Ein Zufall?

Das glaube ich nicht. Mir sind viele Dinge bewusst geworden, ich habe mein Verhalten geändert und ich stehe nicht mehr so extrem unter Leistungsdruck! Es ist für mich ok, wenn unser Mädchen aggressiv reagiert, genauso wie es für mich ok ist, nach Gefühl auf ihr Verhalten einzugehen. Ich bin mir sicher, dass sie diesen Wandel in mir spürt und so auch eine Veränderung bei ihr statt finden konnte.

Nun, unser Mädchen reagiert immer noch ganz schön aggressiv. Doch statt einfach so und pausenlos andere Kinder zu vermöbeln, gerät sie nun sehr viel weniger und aus deutlich erkennbarem Grund aus der Fassung. Entweder sind es die üblichen Streitigkeiten um Spielzeug & Co oder sie ist hungrig, müde, verunsichert, gestresst oder gefrustet. Das scheint also unter die „altersgerechten, normalen körperlichen Übergriffe“ aus dem Anfangszitat zu fallen, die „bei Zunahme der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten nach lassen.“

Ihr energisches Temperament halte ich übrigens – in angemessenem Rahmen – für recht positiv. Sie kann sich durch- und zur Wehr setzen, beispielsweise wenn große Jungs auf dem Spielplatz meinen das kleine Mädchen einfach wegdrängen zu dürfen. Ihr könnt euch vorstellen, wie verblüfft solche wilden Kerle auf ihren rechten Haken reagieren.

Schlussgedanken

Aggressives Verhalten gehört zu der normalen Entwicklung eines Kindes dazu und kann doch eine verschlüsselte Botschaft sein. Wie viel Angriffslust tatsächlich normal ist, lässt sich nur schwer ermitteln.
Da unser Mädchen sich (für mein Empfinden) ungewöhnlich aggressiv benahm, vermutete ich mehr hinter ihren Attacken als eine altersgerechte Reaktion. Scheinbar lag ich damit richtig, denn sie war wesentlich entspannter, nachdem ich mein Verhalten unter die Lupe genommen hatte.

Bei uns hat keine Blitztherapie oder Wunderheilung stattgefunden! Ich sehe jetzt lediglich einige Dinge gelassener als noch vor ein paar Wochen und bin mir bewusst, dass es Zeit für einen Blick nach Innen ist, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen. Falls ich selbst nicht merke, wann es wieder einmal so weit ist, wird sich unser Mädchen schon melden. Denn eines ist sicher, sie hat ein unfehlbares Gespür dafür.

Mein aggressives Verhalten, das ich von Zeit zu Zeit an den Tag lege, spiegelt den harten Erziehungsstil und den schlechten Umgangston meiner Eltern wider – selbst nach 33 Jahren (noch). Wenn ich unkontrolliert weiter gebe, was ich bei meinen Eltern abgeschaut habe, wird das wiederum Auswirkungen auf das Verhalten meines Kindes haben. Eine 180 Grad Wende wird mir wohl nicht gelingen – ich bin wie ich bin, obwohl ich unaufhörlich an mir arbeite und immer wieder an meinen Fehlern wachse. Dennoch kann ich unserem Mädchen mit Respekt begegnen und sie als kleinen Menschen mit eigener Seele wahrnehmen. Schließlich ist es nicht wichtig perfekt zu sein, wichtiger ist sich Fehler eingestehen zu können und die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.

Durch unser Mädchen habe ich jede Menge über mich gelernt. Ich bin durch ihr aggressives Verhalten ein Stück zu mir selbst vorgedrungen und kann Juuls Aussage nun aus eigener Erfahrung bestätigen:

„Kinder sind für ihre Eltern gerade dann am wertvollsten, wenn sie diesen am beschwerlichsten erscheinen.“[7]

Wie es nach meiner Selbstreflexion weiterging, lest ihr in diesem Artikel:
Aggressives Verhalten beim Kind: Familylab-Familienberatung

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Footnotes    (↵ returns to text)

  1.  www.aerzteblatt.de: „Aggressive Kinder und Jugendliche: Mangel an evidenzbasierten Interventionen“
  2.  www.familienhandbuch.de: Dein kompetentes Kind: Die Grundprinzipien der Pädagogik von Jesper Juul“
  3.  Juul, Jesper: Dein kompetentes Kind (2012), 66.
  4.  Juul, Jesper: Dein kompetentes Kind (2012), 66.
  5. www.stefonja.de: „Dein kompetentes Kind von Jesper Juul – Leseerfahrung“
  6.  Juul, Jesper: Dein kompetentes Kind (2012), 35.
  7.  Juul, Jesper: Dein kompetentes Kind (2012), 66.
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