Eltern werden Paar bleiben: Vier beziehungsstärkende Säulen

Kathrin Gastartikel Schreib einen Kommentar

Iris van den Hoeven, Mutter von zwei Töchtern, Erziehungswissenschafterin, Family-Support-Trainerin und Wir2-Bindungstrainerin für Alleinerziehende, richtet sich mit ihrer Arbeit an Eltern und pädagogisches Fachpersonal. Seit Ende 2017 publiziert sie anregende und hilfreiche Texte auf ihrem wunderbaren Blog „Blickpunkt Erziehung„: Bei mir geht es immer darum Kinder liebevoll und gewaltfrei zu begleiten.“

In ihrem Gastartikel erfahrt ihr, warum es für unsere Kinder wichtig ist, dass wir als Eltern unsere Paarbeziehung pflegen, auch wenn es im Alltag manchmal schwer fällt. Ein toller Text, der zum Nachdenken anregt und praktische Anregungen mit auf den Beziehungsweg gibt.

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Viel Spaß beim Lesen!
Eure Kathrin

Als eine von zahlreichen Familienformen ist alleinerziehend zu sein heutzutage völlig „normal“. Dennoch stellt sich die Frage, was dies für uns und unsere Kinder bedeutet und wieso es so schwer ist eine glückliche und dauerhafte Beziehung zu führen.

Werdende Eltern wissen in der Regel recht genau, dass da eine ganz besondere, magische und zugleich sehr anstrengende Zeit auf sie zukommt. Doch so gut man/frau auch darauf vorbereitet sein mag, die tatsächlichen Alltagsherausforderungen frischgebackener Eltern haben dann oftmals doch ungeahnte Durchschlagskraft: Erschöpfung nach durchwachten Nächten, die noch nicht gewohnte Rund-um-die-Uhr-Verantwortung, Selbstzweifel – das Gefühl der Elternrolle nicht gewachsen zu sein, finanzielle Mehrbelastung, Unklarheiten bei der Arbeitsaufteilung und unzählige andere Bedürfnisse mit Konfliktpotential säumen die erste Zeit und sind eine nicht zu unterschätzende Belastung für die Paarbeziehung.

Verklärte Mythen der Elternschaft

Der Mythos – die Geburt eines Kindes sei der Höhepunkt der Liebe – und die verklärte Idee von inniger Verbundenheit der Eltern – gerahmt in Mutterglück und Vaterfreude – hält sich hartnäckig in unseren Köpfen und erschwert einen ehrlichen und realistischen Austausch über die reellen Startschwierigkeiten der Elternschaft.

Dabei wäre dieser Austausch sehr entlastend und würde viel von dem Leidensdruck nehmen, dem wir ausgesetzt sind, wenn wir wahrnehmen – dass es bei allen anderen problemlos läuft – nur bei uns läuft es nicht so rund wie wir es gerne hätten. Selbstvorwürfe und Beschuldigungen an den/die Partner/in sind unter diesen Umständen so gut wie sicher mit im Gepäck und feuern diese erste emotionale Phase meist noch zusätzlich an.

Wenig überraschend zeigt es sich, dass Eltern, die vor der Geburt ihres ersten Kindes ein zufriedenes Paar waren – auch als frisch gebackene Eltern zufriedener mit ihrer Beziehung sind und mit der veränderten Situation besser klar kommen, als Paare, die sich schon vor der Geburt ihre Partnerschaft nicht als besonders glücklich wahrgenommen haben. Das Motiv ein Kind in die Welt zu setzen um die Beziehung zu festigen, ist riskant. In Wahrheit sind Kinder ungeeignete Beziehungsretter, denn sie bringen neben unvergleichlichen Freuden auch einiges an Belastungen mit, welche die Liebesbeziehung noch zusätzlich auf die Probe stellen.

Ein weiterer bitterer Beigeschmack der verklärten Mythen von Elternschaft besteht darin, dass sich Eltern, die sich trotz der Geburt eines gesunden Kindes nicht glücklich fühlen – sei es schlichtweg wegen Überforderung oder auch aufgrund einer postnatalen Depression – ob der gesellschaftlichen Erwartung kaum trauen ihre Not zu zeigen um sich Hilfe zu holen. Gerade aber in dieser ersten sensiblen Zeit, wäre Hilfe wertvoll und wichtig.

Aus der Resilienzforschung (Mannheimer Risikokinderstudie) und dem Konzept der Mentalisierung (Affektspiegelungstheorie) wissen wir, wie fatal es sich auf die kindliche Entwicklung auswirken kann, wenn die wichtigen Bezugspersonen schon in der frühen Phase nicht in der Lage sind in Interaktion dem Baby zu treten und seine Gefühle zu spiegeln – sondern nur im „Notprogramm“ mit ausdrucksloser Mimik wickeln, füttern und anziehen.

Der schon etwas abgelutschte Spruch „Geht’s den Eltern gut, geht’s den Kindern gut“ hat also durchaus seine Berechtigung.

Bedeutung der elterlichen Beziehung zueinander

Die Frage nach den Möglichkeiten, Elternschaft und all ihre schönen und herausfordernden Aspekte mit einer dauerhaften und (zumeist) erfüllenden Liebesbeziehung in Einklang zu bringen, findet viel zu wenig Beachtung. Und das zu Unrecht, denn es gibt kaum ein für die kindliche Entwicklung fruchtbringenderes Thema, als eine glückliche Beziehung der Eltern. An dieser Stelle lehne ich mich gerne an Jesper Juul an, der dazu meinte:

„In allen Familien mit zwei Elternteilen ist die Liebesbeziehung der Erwachsenen das Wichtigste. Sie gibt den Ton an und entscheidet über die Atmosphäre in der Familie. Die beiden Partner sollten deshalb ihre Liebe zueinander unbedingt pflegen. Das ist das Geschenk, das sich ihre Kinder am meisten wünschen.“ (J. Juul)

Kinder, deren Eltern eine glückliche, intakte Liebesbeziehung leben, können im Hafen der Liebesbeziehung vor sich hin schippern, sich geborgen fühlen, auf Entdeckungstour gehen, Fehler machen und daraus lernen, eigene Vorlieben und Abneigungen erspüren, ihren Entwicklungsraum mit allen Sinnen erleben. All das ohne im Flutlichtkegel der ständigen Beobachtung zu stehen, wie es Kinder tun, die die Bürde, der Lebensinhalt ihrer Eltern zu sein, schwer auf ihren Schultern tragen. Denn wo kann die Leichtigkeit und Unbefangenheit – die Basis jedes Entdeckergeistes und jeder gesunden Entwicklung sind – denn aufleben, wenn der fragende Blick über die Schulter zu Mama und/oder Papa ständiger Begleiter ist. „Mache ich alles richtig, mache ich euch glücklich, bin ich gut so wie ich bin?“

Ein-Eltern-Familien

Ob die Hauptbezugsperson gut auf sich achten kann, trotz der oft erdrückenden Mehrfachbelastung nicht aufs Leben und Genießen vergisst und in Beziehungen investiert, ist für Kinder von Alleinerziehenden entscheidend.

Es ist von zentraler Bedeutung, dass Alleinerziehende sich nicht in einer entwicklungsunfreundlichen Dyade mit dem Kind verkapseln und verbünden. „Du und ich – wir müssen zusammenhalten. Ich beschütze dich vor der bösen, kalten Welt. Du bist das Wichtigste für mich. Ohne dich macht alles keinen Sinn. Nur für dich kämpfe ich mich durch die Widrigkeiten meines Lebens.“

Ein solcher Entwicklungsraum nimmt die Luft zum Atmen und begleitet viele Menschen noch durchs Erwachsenenleben, das ständig schlechte Gewissen ist ihr Begleiter. Dann spürt man/frau vielleicht den Drang täglich die Mutter anzurufen, sie hat Vorrang vor allem und jedem. Wenn dann die eigene Beziehung zerbricht, weil Partner mit einer solchen Ehe zu dritt nicht leben können, sind sie wieder zu zweit vereint, bestätigt in dieser kalten Welt. Die Dyade Mutter (seltener auch Vater) – Kind hält sie im eisernen Würgegriff.

Es sollte unser oberstes Ziel sein,
 unseren Kindern das Leben wahrhaft zu schenken und es ihnen nicht nur zu verpachten. Dazu gehört neben Behüten und Versorgen auch Loslassen und Zutrauen.

Ein Blick in die Zukunft

Die Frage nach dem „Was wünsche ich mir für mein Kind?“ ist wortwörtlich richtungsweisend.

Soll es ein gesunder, glücklicher Erwachsener werden, der weiß, was ihm gut tut? Der gerne lebt und in allererster Linie auf sich selbst gut achten kann um in zweiter Linie auch für andere da sein zu können?

Oder halte ich mein Kind unbewusst klein und von mir abhängig, damit ich meinen Sinn des Lebens – es versorgen zu können, gebraucht zu werden – erhalten kann?

Die Herausforderung eine Beziehung dauerhaft zu leben

Laut Jesper Juul ist die Liebesbeziehung der Erwachsenen also besonders wichtig für das gesunde Aufwachsen eines Kindes. In Deutschland erzieht mehr als jedes fünfte Elternteil alleine. Ohne negieren zu wollen, dass es für das Kindeswohl besser sein wird in einer Ein-Eltern-Familie aufzuwachsen, als in einem von ständigem Streit und mitunter Gewalt geprägten Familienklima – angesichts dieser Zahlen stell sich doch die Frage: Warum ist es so herausfordernd eine dauerhafte Beziehung zu führen, in der wir uns wohlfühlen?

Am Anfang geht es doch auch? Wenn wir uns kennen lernen, liegen wir in der Regel wortwörtlich auf einer Linie. Wir können uns „gut riechen“. Wir haben ähnliche Bedürfnisse und Wünsche. In der ersten Phase des Verliebtseins wünschen wir uns, uns nahe zu sein, Zeit miteinander zu verbringen, gemeinsame Ziele zu erträumen, eventuell uns von außen abzugrenzen, um ein eigenes kleines System zu bilden.

Lebenslange Entwicklung

Als Jean Piaget im letzten Jahrhundert die Entwicklung des Denkens erforschte, führte er viele spannende Erkenntnisse zutage. In Einem aber hat er sich getäuscht, dachte er doch, die Entwicklung des Denkens sei im Alter von 12 Jahren abgeschlossen. Heute sind Begriffe wie „LLL – Lebenslanges Lernen“ und „Neuroplastizität“ in aller Munde, die Fähigkeit des Gehirns sich lebenslang zu formen. Unser Gehirn wird so wie wir es nutzen – das kann ein Fallstrick sein oder eine unglaubliche Chance.

Schon Marc Aurel wusste „Auf Dauer nimmt die Seele die Farbe deiner Gedanken an.“

Wir entwickeln uns also zeitlebens und oft nicht synchron mit dem/r Partner/in. Jobwechsel, neue Freunde, Ausbildungen, Schicksalsschläge – all diese Erfahrungen prägen uns, verändern uns, unsere Bedürfnisse und Wünsche.

Wo verschiedene Bedürfnisse aufeinanderprallen, entstehen Konflikte. Manche Konflikte werden zu „Lerngeschenken“, wir wachsen an ihnen und wir finden wieder mehr Nähe in unserer Beziehung. Häufig sind Konflikte aber auch scheinbar unüberbrückbar und führen zu einem Beziehungsende.

Vier beziehungsstärkende Säulen

Wie kann es nun gelingen Nähe zu bewahren und Beziehungen zu erhalten und zu vertiefen? Wie kann es gelingen Eltern zu sein und dabei Partner zu bleiben?

Dazu ein abschließender Denkimpuls in Form von vier beziehungsstärkenden Säulen, die das Potential in sich tragen die elterliche Partnerschaft zu stützen und zu festigen. Da dieses Thema einen einzelnen Beitrag sprengt, findet sich bei jeder Säule ein kurzer Denkimpuls mit Kurzbeschreibung und einigen Schlagworten, die zum Nachdenken anregen:

 1. Downshifting

Warum herunter fahren? Stress ist ein uralter Mechanismus, der uns bei Gefahr seit jeher befähigt hat, schnell zu reagieren und zu überleben. Die Bedrohung durch ein wildes Tier erforderte schnelle Reaktionen (Stichwort: fight-flight-freeze). Die Ausschüttung von Stresshormonen und Botenstoffen bewirken eine Kaskade von Körperfunktionen: Schneller Herzschlag, Energie für die Muskeln, fokussierter Blick (Tunnelblick) ist gefragt. Die Verbindung zur Großhirnrinde, die kognitive Fähigkeiten wie rationales Denken, Sprechen, Planen, Reflektieren beheimatet, wird unterbrochen,  um schneller reagieren zu können. Darum bleibt uns bei einem heftigen Streit plötzlich die Sprache weg, oder wir hören uns selber Dinge sagen, die wir niemals sagen wollten (hören uns wie die eigen Mutter an). Stress ist also notwendig bei echter Bedrohung, im Beziehungsaspekt aber eher kontraproduktiv.

Denkimpulse: Minimalismus, Singletasking, Gut genug = das neue Perfekt

2. Blickpunkte ausprobieren

In seinen/ihren Schuhen laufen, um zu erfühlen welche Bedürfnisse der/die Partner/in hat. Beispielsweise wenn er/sie von der Arbeit heimkommt und wir uns wünschen, nun endlich freigespielt zu werden. Mal die Beine hochlegen zu können, Zeit für uns zu haben – schließlich haben wir bis jetzt die Stellung gehalten. An dieser Stelle einmal die Perspektive wechseln, kurz innehalten und überlegen, wie der Wechsel von diesen zwei Welten weicher verlaufen könnte. Ihm/ihr Zeit zum Ankommen (umziehen, duschen, eine Runde laufen, einen gemeinsamen Kaffee) gönnen?

Oder: Wenn er/sie unsere perfekten Hygiene-/Kleidungs-/Fütterungsstandards nicht erfüllt. Bevor wir unsere Zunge wie ein Schwert schwingen, überlegen, wie würde ich selbst Kritik konstruktiv annehmen?Vielleicht über ein Feedbacksandwich?
Knuspriges Brötchen, saure Gurke, knuspriges Brötchen also:

  • Formulieren was gut läuft,
  • was uns nicht gefällt (=das Gurkerl),
  • Zuversicht in seine/ihre Fähigkeiten, Anerkennen der Bemühungen
Denkimpulse: Einfühlen, Bedürfnisse hinterfragen

3. Körperkontakt

… ist nicht nur schön, sondern löst eine Reihe von Reaktionen im Körper aus. So unromantisch das auch klingen mag, wir sind ein Produkt des Zusammenspiels unserer Hormone.
 Wenn wir uns berühren, schüttet unser Körper das Bindungshormon Oxytocin aus. (Kleine Hintergrundinfo, ohne auf falsche Gedanken kommen zu wollen: Eine Studie zeigte, dass Mäusemännchen, denen Oxytocin gespritzt wurde – treuer waren.)
 Wird ein Baby nicht angezogen gefüttert (hat es also mit der Bezugsperson Hautkontakt) hat es eine höhere Hauttemperatur, als ein angezogenes Baby. Möglich macht es Oxytocin, das uns warm durchflutet und die Bindung stärkt. Ein Umstand der auch für unsere Partnerschaft wichtig ist, und da gibt es neben Sexualität noch viele Möglichkeiten zu liebevollen Berührungen.

Denkimpulse: Kuscheln, Händchenhalten, Fußmassage

4. Präsenz

Auf der Suche nach einem netten Zeitvertreib? Warum wollen wir ausgerechnet unsere Zeit vertreiben? Unser Leben besteht aus Zeit. Zeitvertreib = Lebensvertreib? Besser die Zeit bewusst genießen: Präsenz ist das wertvollste Präsent.
 Wenn Eltern darauf warten, bis alles erledigt ist und sich dann wie von selbst ein Zeitfenster für die Pflege der Partnerschaft öffnet, werden sie vergeblich warten. Es ist nie alles erledigt. Darum ist es wichtig fixe Termine füreinander zu planen und – wenn nötig – im Terminkalender zu fixieren. Und dann kein schlechtes Gewissen haben, wenn Mann und Frau eine feine Zeit ohne Kind verleben. In Wahrheit können Eltern dem Kind kein größeres Geschenk machen, als sich gut zu verstehen. Wir haben alle erdenklichen Abendrituale für unsere Kinder, warum kein Abendritual für uns und unseren Partner? Zum Beispiel einmal die Woche: Fernseher aus, sich von Facebook, Handy, etc. befreien und Zeit miteinander verbringen. Gemeinsam etwas machen, was beiden Spaß macht. Oder sich auch nur mal gemütlich zusammen kuscheln und miteinander reden.

Denkimpulse: ZeitErleben statt ZeitVertreib

Einen Rahmen spannen und Haltungen verinnerlichen

Wer diese Denkimpulse nicht nur kurz überfliegen, sondern mit ihnen eine beziehungsstärkende Haltung verinnerlichen möchte, profitiert davon, sich dafür genug Zeit zu geben. Neue Gewohnheiten brauchen Zeit. Auch wenn die „21 Tage Regel“ von Dr. Maxwell Maltz (Stichwort Psychokybernetik – Veränderungen würden mindestens 21 Tage benötigen, bevor sie zur Gewohnheit werden könnten und ohne Kraftaufwand – quasi automatisch – ablaufen) in die Jahre gekommen ist und durchaus auch kritisch hinterfragt werden darf, ist es sinnvoll in turbulenten Zeiten nicht auch noch alles „auf den Kopf stellen“ zu wollen.

Im Idealfall gönnt ihr euch einen „Beziehungs-Monat“ – jede Woche wird der Festigung einer Säule gewidmet. Was euch dabei spürbar bereichert, wird beibehalten. Dabei sind es die kleinen und bewussten Schritte, die eine Veränderung bewirken – wie meistens im Leben.

 

 

 

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