Eine Begegnung, die mir die Augen öffnete

Kathrin Familienleben 5 Kommentare

Eine gute Freundin von mir hat Brustkrebs. Als ich es erfuhr, zog sich mein Magen zusammen. Sie ist so alt wie ich, hat drei Kinder und alle drei über ein Jahr gestillt. „Von wegen Brustkrebsprävention“, schoss es mir sofort durch den Kopf.

Als wir das erste Mal unter vier Augen darüber sprachen, bewunderte ich sie, weil sie sich mutig und optimistisch ihrem Schicksal stellte. Das Leben ginge weiter, sie wolle ihr Leben nicht von dieser Krankheit bestimmen lassen, so ihre Worte. Ich ließ mich von ihrer Zuversicht anstecken und verdrängte meine Sorgen und den dicken Kloss in meinem Hals.

Letzte Woche (eine Brust-OP und zwei Chemotherapiesitzungen später) besuchte ich sie. Nur kurz, weil sie aktuell eigentlich kaum Kraft für Besucher hat, ich ihr aber wenigstens das Kopftuch vorbeibringen wollte, das ich für sie gekauft hatte. Als ich auf die Klingel drückte, war mir mulmig zumute.

Denn wenige Minuten später sah ich sie zum ersten Mal ohne ihre blonden Haare. Ich versuchte ein lockeres Gespräch zu führen, weil sie eine starke Frau ist und nicht bemitleidet werden möchte. Doch als sie mir erzählte, was die Chemo mit ihr und ihrer Familie macht, konnte ich meine Tränen nicht zurückhalten. Sie auch nicht…

Auf der Fahrt nach Hause brach es dann so richtig aus mir heraus. Ich weinte hemmungslos und meine Gedanken überschlugen sich. Sie ist so jung, eine taffe, tolle Frau und dann so ein unerwarteter Schicksalsschlag.

Ich weiß natürlich, dass das Leben endlich ist. Auch aus eigener Erfahrung. Meine Mutter erlitt mit Anfang 50 mehrere Schlaganfälle, von denen sie sich körperlich nicht mehr erholte. Mein Vater starb daran, genau wie mein Onkel – um nur einige Beispiele aus meiner Familie zu nennen. Doch irgendwie ist das anders. Das ist eine andere Generation. So weit weg…

Mitzuerleben wie eine gleichaltrige Freundin mit einer schweren Krankheit kämpft, nimmt mich dagegen auf ganz andere Weise mit, auch wenn ihre Heilungschancen recht gut stehen. Als ich sie schwach und erschöpft von ihrer zweiten Chemo im Bett liegen sah, wurde mir mit einem Mal bewusst wie kostbar das Leben ist und zwar jede einzelne Minute davon.

Während ich nach diesem kurzen, aber für mich sehr aufwühlenden Treffen mit dem Auto nach Hause fuhr, dachte ich über mein eigenes Leben nach. Wie gut es mir geht mit meinem Mann, meinen beiden Nestlingen und meiner Blog-Arbeit. Finanziell, gesundheitlich und auch sonst ist hier alles im Lot.

Und ich dachte darüber nach, warum es mir im Alltag dennoch so schwer fällt, all die positiven Dinge in meinem Leben wahrzunehmen und ich mich stattdessen unnötig stresse, unter Druck setzte („xy muss unbedingt noch fertig werden“) und ich mich jeden einzelnen Tag über belanglose Sachen aufrege. Warum ich zwischen Arbeit, Haushalt und Kindern hin und her hetze und meinen Fokus unentwegt auf negative Details setze. Warum?

Es war der Anblick meiner kahlgeschorenen Freundin, der mir die Augen öffnete. Nur weil ich noch so jung bin, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass ich noch endlos Zeit zur Verfügung habe. Mein Leben (wie lang es auch sein mag) ist definitiv zu kurz, um es nicht in seinen kostbaren Momenten zu genießen. Es ist viel zu kurz, um sich über Banalitäten zu ärgern. Es ist viel, viel zu kurz, um es einfach an mir vorbeirauschen zu lassen und mein Hauptaugenmerk den unwichtigen Dingen zu schenken.

“Die Tatsache, dass ich schon bald tot sein werde, ist die größte Entscheidungshilfe, die ich jemals hatte, um wichtige Entscheidungen zu treffen. Denn beinahe alles — alle Erwartungen von anderen, aller Stolz, alle Angst vor Häme oder Versagen — diese Dinge sind nicht wichtig, wenn du den Tod vor Augen hast und damit bleibt nur zurück, was tatsächlich von Gewicht ist. Wenn man sich daran erinnert, dass man sterben wird, ist das für mich die beste Art, zu vermeiden, dass man meint, man hätte etwas zu verlieren. Du bist ja bereits entblößt. Es gibt keinen Grund, nicht deinem Herzen zu folgen…”  (Steve Jobs)

Ich werde unvermeidlich älter und jeder Tag kann mein letzter sein. Was fange ich also an mit dieser kostbaren Zeit? Was ist mir in meinem Leben wirklich wichtig?

Ich zähle nicht zu den Menschen, die unbedingt noch etwas Verrücktes oder unglaublich Abgefahrenes erleben wollen, bevor sie sterben. Ich bin viel gereist, habe Einiges gesehen und erlebt, so dass dahingehend kein unerfüllter Traum in mir schlummert.

Doch es verstreichen viele Tage, an denen ich mich über mich ärgere, weil ich die Menschen, die mir am Herzen liegen, nicht so behandle wie sie es verdient hätten. Weil ich das Mädchen in meinen Anflügen von Ungeduld zu schroff anfahre. Weil ich Thomas bereits am frühen Morgen anmaule, obwohl er nichts für meinen Schlafmangel kann. Weil ich andere Menschen für mein Wohlbefinden und meine Gefühle verantwortlich mache, obwohl die Verantwortung für mein Leben ganz in meiner Hand liegt.

Doch damit ist jetzt Schluss. Denn ich will nicht auf dem Sterbebett liegen und an all die Situationen denken müssen, in denen ich es verpasst habe, den Menschen, die ich mag, ein gutes Gefühl zu vermitteln.

Ja, ich bin auch nur ein Mensch und es steht mir zu in schwierigen Situationen „authentisch“ zu sein wie Jesper Juul es nennt und meinen Frust, meine Trauer, meine Wut und all meine anderen negativen Gefühle raus zu lassen. Das ist wichtig und gesund (gesünder als diese permanent zu unterdrücken). Aber ich habe stets die Wahl, ob ich diesen Emotionen lediglich Raum gewähre oder ob ich sie unfairerweise an meinen Mitmenschen auslasse.

Dieser kurze Besuch bei meiner Freundin bewegte mich immens und legte einen Hebel in mir um. Ich nahm mein Leben plötzlich in einer anderen Tiefe wahr und begriff es als Geschenk. Genau wie meinen Mann und meine Kinder. Meine Familie und Freunde. Alles Kostbarkeiten, die ich auch als solche wertschätzen sollte.

Nimm Dir Zeit, um freundlich zu sein, es ist das Tor zum Glücklichsein.
Nimm Dir Zeit, um zu lieben, es ist die wahre Lebensfreude.
Nimm Dir Zeit, um froh zu sein, es ist die Musik der Seele.
Nimm Dir Zeit, um zu genießen, es ist die Belohnung Deines Tuns.
(Nach einem alten irischen Gebet)

Und ich glaube, dass ich es kann. Dass es mir gelingt, freundlich, liebevoll, ruhig und humorvoll zu reagieren (auch in stressigen Alltagssituationen), wenn ich mich darauf konzentriere. Zumindest versuche ich das jetzt konsequenter, denn es ist nie zu spät, um damit zu beginnen.

„Gib jedem Tag die Chance, der beste deines Lebens zu werden!“
(Mark Twain)

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