Auf den Zahn gefühlt: Stillen und kindliche Karies

Kathrin Gastartikel 2 Kommentare

Tina_law_mclean„Mein Kind hat Karies. Ist das Stillen daran Schuld und muss ich nun abstillen?“

Da mich Leserfragen dieser Art immer wieder erreichen und Karies nicht durch das Stillen verursacht wird, erklärt euch heute Still- & Laktationsberaterin (IBCLC) Christina Law wie Karies entsteht, wie ihr euch und euer Kind davor schützen könnt und warum ihr ruhigen Gewissens solange stillen dürft wie es euch und eurem Kind gefällt.

Viel Spaß beim Lesen!

Eure Kathrin

Allein diese beiden Stichworte „Stillen und Karies“ sorgen häufig in Mütterforen oder auf anderen Onlinekanälen für reichlich Diskussion. Auslöser sind meist Posts von verunsicherten Stillmüttern, deren Kind Karies entwickelt hat und die von ihrem Kinder- oder Zahnarzt gesagt bekommen haben, dass sie daran ja selbst schuld seien, wenn sie das Kind zum Einschlafen oder in der Nacht noch stillen.

Zusätzliches Problem dabei: Es werden in diesen Statements gegenüber der betroffenen Mutter zwei im Prinzip getrennte Themen vermischt, gerne mit unnötig persönlichen Ansichten oder schlicht durch Falschinformation des jeweiligen Arztes oder Zahnarztes beeinflusst: Entstehung von frühkindlichem Karies auf der einen Seite und die gesellschaftliche Skepsis bezüglich längerer Stilldauer bzw. bezüglich eines späten Abstillalters sowie Einschlafstillen und nächtlichem Stillen auf der anderen Seite.

Wie entsteht Karies überhaupt?

Zunächst vorweg: Die Entstehung von Karies ist ein sehr komplexer Vorgang. Es genügt nicht, einfach etwas Nahrung am Zahn zu belassen, damit ein „Defekt“ entsteht. Vielmehr ist es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Sogenannte „kariogene“ also kariesverursachende Nahrung wie Schokolade oder Obstriegel wird von Bakterien (hauptsächlich Streptokokkus mutans) sozusagen zu Säure verarbeitet. Kann diese lange genug oder/und immer wieder als Zahnbelag auf dem Zahn bleiben und auf den Zahnschmelz einwirken, wird dieser irgendwann geschädigt.

Kariesentstehung bei Kindern ist sogar so komplex, dass es inzwischen Programme für werdende Mütter gibt (z.B von der Medizinischen Hochschule Hannover), welche bereits direkt nach den ersten Wochen der Schwangerschaft ansetzen. Denn man weis, dass die kindliche Zahngesundheit auch durch diejenige der Mutter mit beeinflusst wird. Das genannte Bakterium wird von Erwachsenen an das Baby bzw. in dessen Mundhöhle übertragen, z.B. beim Ablecken von Breilöffeln oder Schnullern. Von Geburt an ist die kindliche Mundhöhle nämlich damit noch nicht besiedelt. Je höher die Keimkonzentration im Speichel z.B. der Mutter ist, desto eher gibt es natürlich die Übertragung. Deshalb versucht man, bei der Zahngesundheit der Mutter und zwar bereits in der Schwangerschaft anzusetzen.

Ist Muttermilch kariogen also Karies erzeugend?

Nein! Muttermilch ist per se nicht kariogen, im Gegenteil: Sie trägt sogar aktiv dazu bei, dass Kariesbakterien bekämpft werden. Laktoferrin, IgA und IgG der Muttermilch gehen gegen Streptokokkus mutans vor. Zusätzlich dazu ist das wichtigste Kohlehydrat der Muttermilch Laktose. Laktose ist ein sogenannter „Zweifachzucker“, welcher erst während der Verdauung also im Darm aufgespalten wird und den die Kariesbakterien deshalb nicht als Energiequelle nutzen können. Kariesbakterien bevorzugen nämlich sogenannte Einfachzucker wie Traubenzucker und Fruchtzucker.

Das macht auch Sinn. Die natürliche Ernährung von Babys und Kleinkindern hätte sich aus Sicht der Evolution ansonsten anders entwickelt. Das Stillen wäre sozusagen von der Evolution aussortiert worden.

Karies selbst ist übrigens entwicklungsgeschichtlich ein eher jüngeres Phänomen. Die Zahnärztin Dr. Vera Hüttemann weist darauf hin, dass es den modernen Menschen seit ca. 100.000 Jahren gäbe, Karies jedoch erst seit etwa 8.000 Jahren. Kinder wurden also über 92.000 Jahre der Menschheitsgeschichte bis ins Kleinkindalter gestillt, ohne davon Karies zu bekommen. Und das sicherlich bei einer deutlich längeren Stilldauer als dies normalerweise bei uns in Deutschland der Fall ist.

Anders ist dies übrigens bei künstlicher Babynahrung. Sie enthält anteilsweise meist mehr kariogene Einfachzucker als Muttermilch. Erst recht die sogenannte „Folgemilch“, welche quasi absichtlich leere Kalorien enthält, z.B. sämig machende Stärke, die den Eltern eine sättigendere Wirkung vorgaukelt.

Weiterer Vorteil des Stillens: Die Trinktechnik

Und nicht nur die Zusammensetzung der Muttermilch ist nicht kariogen, auch die Art zu Trinken macht einen Unterschied: Wenn von frühkindlichem Karies die Rede ist, werden manchmal synonym Begriffe wie „Milchflaschenkaries“ oder „Zuckerteekaries“ verwendet. Diese Bezeichnungen beschreiben bereits ganz gut, was tatsächlich sehr schädlich ist. Werden die Zähne des Babys – eventuell sogar im Dauerzustand indem das Kind die Flasche selbst hält – von säurehaltigen Säften, gesüßten Tees oder Babynahrung umspült, sind hierdurch die Voraussetzungen für die Entstehung von Karies gegeben.

Im Gegensatz dazu ist das Trinken an der Brust auf ganz unterschiedlichen Ebenen viel zahnfreundlicher. Zunächst muss das Baby beim Stillen aktiv mitarbeiten, die Milch läuft ihm nicht einfach in den Mund. Die Milch fließt dabei nahezu direkt in den Rachen und nicht erst an den Zahnleisten und Zähnen vorbei wie beim Trinken aus der Flasche. Das Trinken an der Brust erfordert dementsprechend den Einsatz von viel mehr (Gesichts-)Muskeln. Dies ist nicht nur bei der Sprachentwicklung von Vorteil, sondern fördert die gesunde Entwicklung des Gaumens und des Gebisses im Ganzen und beugt so Zahnfehlstellungen vor. Auch verfügen Stillkinder durch dieses Training  über einen verbesserten Lippenschluss. Dies und die Tatsache, dass gestillte Kinder seltener an Atemwegserkrankungen leiden, sorgt wiederum dafür, dass sie weniger oft mit offenem Mund schlafen. Dies hängt mit der Zahngesundheit der Kinder insofern zusammen, als dass ein ausgetrockneter Mund den Kariesbakterien ein leichteres Spiel macht. 

Einschlafstillen und nächtliches Stillen 

Selbst wenn die Erkenntnisse dazu dass Muttermilch nicht kariogen ist inzwischen tatsächlich zu vielen Ärzten vorgedrungen ist, so hört die positive Einstellung gegenüber dem Stillen leider häufig auf, sobald es um gestillte Kleinkinder geht. Einschlafstillen und nächtliches Stillen über das erste Lebensjahr hinaus werden nicht nur allgemein von vielen Ärzten kritisch gesehen, sondern speziell auch im Zusammenhang mit der Entstehung von Karies in Verbindung gebracht. Das ist allerdings falsch! Einschlafstillen und nächtliches Stillen (auch über das erste Lebensjahr hinaus) sind nicht nur ok, sondern ganz normal (siehe „Warum Einschlafstillen ganz normal ist„). 

Die Studienlage ist nicht einheitlich, aber eine finnische Studie von Alaluusua et al. hat zusätzlich aufgezeigt, dass es keine Verbindung zwischen der Entstehung von frühkindlichem Karies und Stillen mit einer Zeitdauer von 34 Monaten gab.

Wenn man sich hierzu noch einmal die Entstehungsfaktoren von Karies ansieht, ist es nicht nachzuvollziehen, dass die zwischen abendlichem und morgendlichem Zähneputzen (also nachts) zu sich genommenen Stillmahlzeiten schädlicher für die Zähne sein sollten als die Mahlzeiten welche das Kind zwischen morgendlichem und abendlichem Zähneputzen (also tagsüber) zu sich nimmt.

Karies vorbeugen

Um frühkindlichen Karies vorzubeugen, gibt es – wie bereits erwähnt– einige Initiativen, die schon in der Schwangerschaft bei der Zahngesundheit der werdenden Mutter ansetzen.  Stillen, Langzeitstillen und auch nächtliches Stillen sind kein Grund für frühkindliche Karies, wenn allgemein gut auf die eigene und die kindliche Zahnhygiene geachtet wird.

Es sollte im Alltag auf folgende Punkte geachtet werden:

  • Ausgewogene, zahngesunde Ernährung, denn je weniger Zuckerimpulse am Tag, desto besser.
  • Mundhygiene: In den ersten 3 Lebensjahren (ab Durchtritt der ersten Zähnchen) sollte das Zähneputzen überwiegend von den Eltern übernommen werden.
  • Prophylaxe durch Fluoride: Das Putzen der Zähne sollte mit einer Zahnpasta erfolgen welche einen altersgerechten Fluoridgehalt hat (siehe auch „Macht Fluorid in Zahnpasta krank?„).
  • Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen machen lassen. Zum einen wachsen Kinder damit langsam in den Ablauf eines Zahnarztbesuchen herein, zum anderen gibt es beginnende Defekte, die das ungeschulte Auge selbst nicht erkennt, der Zahnarzt aber schon.

Weiterlesen

Wer gerne noch etwas tiefer in die Materie eintauchen möchte, dem empfehle ich folgenden Link zum Thema kindliche Zahngesundheit vom Europäischen Institut für Stillen und Laktation.

http://www.stillen-institut.com/de/kindliche-zahngesundheit.html

Hier findet man zum Beispiel einen Link zu der umfassenden Facharbeit zum Thema von Kathrin Veronika Plattner, einer Still- und Laktationsberaterinnenkollegin. Außerdem eine Aufzählung weiterer aktueller Studien und Präsentationen.

Für Mütter, die für den eigenen Zahnarztbesuch in Schwangerschaft und Stillzeit nun Bedenken haben bezüglich Betäubung oder Medikamenten oder deren Zahnarzt hier Bedenken hat: Die Verabreichung gängiger Lokalanästhetika ist sowohl in Schwangerschaft als auch in der Stillzeit kein Problem, Detailinfos findet man unter www.embryotox.de. Fachpersonen können dort auch gezielte Nachfragen anbringen.

Außerdem veröffentlichte das Patientenmagazin der Kassenzahnärztlichen Vereinigung einen guten Artikel über Stillen und Frühkindliche Karies.

http://www.lueckenlos.info/2016/02-2016/zahnarzt-lueckenlos-06.pdf

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